In eine triefende Arepa beissen oder in einer Kutsche durch die Strassen von Cartagena in Kolumbien gondeln? Unser Weltreisender, Peter Polter, weiss Rat. Und er verrät wie Kalbszungen für unseren Gaumen flott gemacht werden können.
Cartagena (Colombia) Calle Badillo, Carrera 7, Ecke Plaza Fernandéz de Madrid, Samstag, 8. Februar 2014

Von den Tischen des «Café de Reloj» aus überblickt man die ganze Plaza de los Coches – derweilen einem der Duft der Lengua a la Criolla in die Nase steigt. (Cartagena, Februar 2014)
Reiseführer versuchen ihre Leser dahin zu bringen, das Richtige zu erleben. Sie müssen also zwischen Gut und Böse unterscheiden. Ein wesentliches Kriterium ist dabei die «Authentizität». Was authentisch ist, gilt als richtig und gut – was nicht authentisch ist, gilt als falsch und böse. Authentisch ist zum Beispiel, was auch die Bewohner eines Ortes beanspruchen oder tun – nicht authentisch ist, was nur für Touristen da ist.
So gilt zum Beispiel die Strassenküche fast allen Reiseführern als authentisch. Wer sich etwa an einem Stand in Cartagena eine mit Wurst gefüllte Arepa kauft, sie ein paar Schritte weiter halb aus dem Zeitungspapier auspackt, seine Zähne in den noch warmen Teig schlägt und sofort den Körper vornüber beugt und die Beine breit macht (weil es tropft), der beisst nicht nur in ein Nahrungsmittel, sondern macht sich zugleich ein Stück echter Alltagskultur zu eigen. Solche Einverleibungen werden auch von den reisenden Köchen gerne praktiziert – egal ob sie Andrew Zimmern oder Anthony Bourdain heissen: Mit ihren Fernsehteams im Tross rauschen sie von einer exotischen Destination zu nächsten, nur um hier wie dort vor einem Strassenstand mit weit aufgerissenen Augen ihre Kiefer über irgendein triefendes Sandwich oder einen Spezial-Burger zu stülpen und dann mit vollem Mund «Oh my god!» zu rufen oder ungläubig den Kopf zu schütteln – als hätten sie beissend die Vision einer höchst ungewöhnlichen Sexualpraktik gehabt: «That’s so…».
Im Unterschied zur Strassenküche gilt etwa die Fahrt mit einer Kutsche als das absolute Gegenteil von authentisch. Denn, wo es heute auf dieser Welt noch Kutschen gibt, gibt es sie nur für und wegen der Touristen (sieht man von ganz ärmlichen Weltengegenden ab, wo die Kutschen ja aber auch eher Karren sind). Kein Wunder haben Travelers, die mit dem «Lonely Planet» unterm Arm auf dem Pfad der Authentizität unterwegs sind, für Kutschenfahrer nur ein verächtliches Lächeln über. Dabei sollte der Anblick dieser Spiesser, die sich von trabenden Touristenfallen durch die Strassen schaukeln lassen, den wahren Reisenden doch eigentlich in seiner Suche nach dem Echten nur bestärken.
Reiseführer verraten ihren Lesern, was an einem bestimmten Ort authentisch ist – und was nicht. Wovon sie nie sprechen, ist die Authentizität des Touristen, der diese Orte bereist. Es scheint, als sei seine Echtheit eine Selbstverständlichkeit. Aber wie authentisch ist ein Reisender, der in eine triefende Arepa beisst – obwohl er im Grunde vielleicht lieber in einer Kutsche sässe und sich durch die Strassen gondeln liesse?
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Lengua a la Criolla

Zwei Kalbszungen mit verschiedenen Würzzutaten, kalt aufgesetzt. Aus dem Zungen-Sud lässt sich zum Beispiel eine Suppe herstellen. (Zürich, März 2014)
Kalbszunge, gesotten und heiss geräuchert, mit eine Sauce aus Zwiebeln, Tomate und Limettensaft – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 140208 Cartagena Calle Badillo
In der Küche Kolumbiens gibt es zwei bedeutende Saucen auf Basis von Zwiebel und Tomate: Hogao und Salsa Criolla. Für die Herstellung von Hogao werden mehr oder weniger fein geschnittene Tomaten und Zwiebeln (oft grüne und gelbe gemischt) in einem Verhältnis von etwa 2:1 so lange auf kleiner Flamme geköchelt bis sie zu einer relativ festen Sauce verschmolzen sind, die mit Salz abgeschmeckt wird. Als weitere Würzzutaten können sich in Hogao auch Pfeffer, seltener Chili, Oregano, Safran, Kreuzkümmel und etwas Hühnerbrühe finden. Der Name der Sauce leitet sich offenbar von rehogar (=schmoren) ab.
Es kursieren verschiedene Hogao-Rezepte, die sich indes nur in Feinheiten unterscheiden. Im Gegensatz dazu findet man unter dem Begriff Salsa Criolla die unterschiedlichsten Saucen mit den diversesten Zutaten.
Immerhin stimmen die meisten Quellen darin überein, dass es sich bei der Salsa Criolla um eine ungekochte Sauce handelt, die bei Zimmertemperatur serviert wird. Wie Hogao besteht auch die Salsa Criolla zur Hauptsache aus Zwiebeln und Tomaten, wobei der Zwiebelanteil hier deutlich höher ausfällt. Da rohe Zwiebeln schnell ein wenig dominant auftreten, werden sie mit einem einfachen Trick gezähmt (siehe Rezept). Die Sauce wird mit Salz abgeschmeckt und mit Zitrone oder Limette und gelegentlich auch etwas Essig gesäuert. Als weitere Zutaten finden sich manchmal Paprika, scharfe Chili, Pfeffer, Knoblauch, Speisesenf, Olivenöl, Petersilie und Koriander.
Das «Café de Reloj» in Cartagena, ein modernes Restaurant an der Calle 34, von dessen Tischen aus man die ganze Plaza de los Coches überblickt, serviert eine Lengua a la Criolla, die uns glücklich gemacht hat – weshalb wir sie in der eigenen Küche rekonstruiert haben und hier das Rezept dafür wiedergeben.
Die Sauce bestand aus feingehackten Zwiebeln und Tomaten, Limette, Chili, etwas Speisesenf und sehr viel Koriander. Sie passte hervorragend zu einer lauwarmen Zunge, deren herausragendes Merkmal es war, dass sie einen markanten Rauchgeschmack hatte. Im «Café de Reloj» hatten wir höchstwahrscheinlich eine gepökelte Zunge auf dem Teller – war das Fleisch doch auffällig rot und etwas salzig. Wir verwenden hier eine ungesalzene Zunge. Das Rezept lässt sich jedoch genauso gut mit einer Zunge aus dem Salz herstellen. Ebenfalls in Abweichung von unserem Vorbild schneiden wir Zwiebel nicht in kleine Stücke, sondern nur in feine Ringe.
Wir servieren zu der Lengua a la Criolla am liebsten gedünsteten Maniok in nicht zu kleinen Stücken, auch Ofenkartoffeln oder Pellkartoffeln passen gut.
Kochzeit 90 Minuten
Rauchzeit 40 Minuten
Ziehzeit der Sauce 60 Minuten
Zutaten Zunge (für 4 Personen)
2 Kalbszungen zu je etwa 600 g
3 dl Weisswein
2 Schalotten, ungeschält, der Länge nach halbiert
40 g Stangensellerie
2 getrocknete Chilis
3 Lorbeerblätter
5 Gewürznelken
12 Körner schwarzer Pfeffer
6 Körner Piment
2 TL Salz
5 EL Buchenmehl für den Rauch
Zutaten Salsa Criolla (für 4 Personen)

Die Salsa Criolla besteht zur Hauptsache aus Zwiebeln, etwas Tomate und Koriander. Es handelt sich um eine ungekochte Sauce, die bei Zimmertemperatur serviert wird. (Zürich, März 2014)
2 rote Zwiebel (220 g), geschält, der Länge nach halbiert, in feinen, halbmondförmigen Ringen
¼ bis ½ Antillais-Chili, feinst gehackt
2 kleine Zehen Knoblauch, gepresst
½ TL Zucker
½ TL Salz Saft von
2 Limetten
2 EL Olivenöl
1 EL Speisesenf
2 feste und reife Tomaten (180 g), entkernt und ziemlich fein gehackt
20 g Korianderkraut, nicht zu fein gehackt
Zubereitung der Zunge

Nach dem Räuchern hat die Zunge eine feine dunkle Kruste – und ist im Innern doch immer noch feucht.
Die Zungen gut abspülen – wenn sie sehr blutig sind ein paar Minuten wässern.
In einem grösseren Topf 1.5 L Wasser mit allen Würzzutaten für den Sud vermischen (Weisswein, Schalotten, Stangensellerie, Chilis, Lorbeer, Gewürznelken, Pfeffer, Piment und Salz). Die Zungen hineinlegen, zum kochen bringen und halb zugedeckt 75 bis 90 Minuten köcheln. Zungen gelegentlich kehren und ev. etwas Wasser nachgiessen – das Fleisch sollte immer weitgehend bedeckt sein.
Die genaue Garzeit der Zungen hängt vom Alter der Tiere ab. Sie sind gar wenn sich die grobe Haut leicht lösen lässt.
Zungen aus dem Sud heben und abkühlen lassen. Mit den Fingern die grob genoppte, ledrige Haut vom Fleisch ziehen.
Den schmackhaften Sud kann man später separat verwenden, zum Beispiel für eine Suppe. Hat man noch etwas von der geräucherten Zunge übrig, kann man die wieder in den Sud geben und ein wenig mitkochen – so erhält man eine Suppe mit einem umwerfenden, markant rauchigen Aroma.
Eine nicht beschichtete Bratpfanne aus Edelstahl (mit passendem Deckel) innen mit Alufolie auskleiden. 5 EL Buchenmehl über den Boden des Topfes verteilen. Ein niedriges Gestell oder eine andere Konstruktion in Stellung bringen (ihr Ziel ist es, die Zungen über dem Buchenmehl in Position zu halten). Die Zungen auf die Konstruktion in der Pfanne setzen. Pfanne erhitzen bis das Mehl zu rauchen beginnt. Deckel auflegen, Hitze auf etwas mehr als das Minium reduzieren, 20 Minuten räuchern, Hitze stoppen und 15 bis 20 Minuten nachziehen lassen.
Da der Rauch auf dem Deckel einen klebrigen Belag hinterlässt, packen wir ihn meistens ebenfalls in Alufolie ein (mehr zum Thema Räuchern).
Zunge aufschneiden und sofort lauwarm mit der Salsa Criolla servieren.
Zubereitung der Sauce
Die Zwiebelscheiben unter kaltem Wasser abspülen, 15 Minuten in ausreichend Wasser einweichen, nochmals abspülen und gut abtropfen lassen.
Chili, Knoblauch, Zucker und Salz in einem Mörser zu einer Mus zerstampfen. Limetten-Saft, Olivenöl und Senf beigeben, alles zu einer Sauce verrühren.
Sauce mit den Zwiebeln, Tomate und Koriander vermischen und vor dem Essen wenigstens eine Stunde lang ziehen lassen.
Die hier vorgestellte Sauce ist ziemlich kräftig – und rohe Zwiebeln, selbst in gezähmter Form, sind nicht jedermanns Plaisir. Wir schlagen deshalb hier in Kurzform eine zweite Sauce vor, die bei vergleichbarem Aromaprofil etwas milder schmeckt. In einem kleinen Pfännchen 2 EL Olivenöl erwärmen, 2 fein gehackte rote Zwiebeln (220 g) und ½ TL Salz beigeben, 2 Minuten unter ständigen Rühren dünsten – bis die Zwiebeln gerade anfangen, etwas weich zu werden. Topf vom Feuer nehmen. Sofort beigeben: 2 feste und reife Tomaten (180 g), entkernt und ziemlich fein gehackt, Saft von 2 Limetten, ¼ bis ½ Antillais-Chili, feinst gehackt, 1 kleine Knoblauchzehe, gepresst, 1 EL Senf, ½ TL Zucker. Topf wieder aufs Feuer stellen und nochmals 2 Minuten unter ständigen Rühren köcheln. Sauce sofort in eine Schüssel geben und abkühlen lassen. 20 g nicht zu fein gehacktes Korianderkraut beimengen.