
Wer mit der Tube aus dem Tunnel kommend in der Station South Kensington einfährt, erlebt ein grünes und vor allem farbiges Wunder: in den warmen Monaten erfreuen eine ganze Armada an Blumentöpfen die Augen der Ankommenden.
«Hans, ich verstehe nicht allzu viel von Blumen. Aber seitdem Graham (er hat die grünen Daumen – ich bin nur sein Träger) und ich in den letzten paar Jahren unseren kleinen Untergrundgarten angelegt haben, habe ich gelernt, dass uns Blumen ansprechen und auch zum sprechen bringen. Die Sprache der Pflanzenwelt ist universell, um diese Welt zu verstehen, braucht man keine Fremdsprachenkenntnisse – ein Garten verbindet die Menschen aus aller Welt und man freut sich, wenn man eine kleine Gartenoase an einem unerwarteten Ort entdeckt. Das schönste aber an der Blumenwelt ist ihre Kunst, die Leute zum sprechen zu bringen.» Andy, der junge South Kensington-U-Bahnstationsaufseher, ist Feuer und Flamme und total relaxed, trotz Rushhour-Gedränge auf dem Perron, als er meine Fragen beantwortet und schmunzelt: «Weisst du, der kleine Garten da hinten – er hat etwas Magisches. Die Pflanzen schaffen Ruhe und die Leute sind respektvoll zu einander, aber auch zu uns und den Pflanzen. Noch nie hatten wir hier Vandalismus, auch wenn die Leute manchmal etwas zu tief ins Glas geschaut haben … .»
Wilde und farbige Oase inmitten einer teuren Welt
Der kleine Garten ganz am Ende des South Kensington U-Bahn-Perrons existiert schon seit längerer Zeit. Der Gründergarten wurde aber vernachlässigt, nachdem der erste U-Bahnstationsvorseher und Blumen liebende Freizeitgärtner seine Stelle verlassen hatte. Dann kam Graham mit seinem Schrebergartentraum und seiner Liebe zum Gärtnern. Weil die Warteliste für Schrebergärten in London ellenlang ist und er nicht mehr länger warten wollte, ergriff er die Initiative. Zusammen mit seinem Helfer Andy erklärte er seinen Arbeitsplatz, South Kensington Tube Station, zum öffentlichen Schrebergarten. Da es für Blumen kein Budget gab, griffen Graham und Andy in die eigene Hosentasche. Gearbeitet wird in den Pausen, in der Freizeit und in den Ferien. Ab und zu spenden Pendlerinnen und Pendler Pflanzen und Töpfe.
Öffentliche Blumen und Zugang für alle
Den beiden U-Bahn-Gärtnern ist es wichtig, dass der Garten für alle zugänglich ist und sich die Fahrgäste an der grünen Untergrundoase erfreuen können. Mit viel Stolz und offensichtlicher Zufriedenheit erzählt mir Andy: «Es gibt im ganzen Londoner Tube System exakt zwei Gärten, welche von den Angestellten gepflegt werden und die der Öffentlichkeit zugänglich sind.» Kopfschüttelnd und eher etwas perplex fügt er hinzu: «Es gibt sogar einen Wettbewerb mit Preisgeld, aber alle andern Gärten sind irgendwo auf den Tube-Stationen-Dächern, die nur den Angestellten zugänglich sind und so nie mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Den Preis kriegen immer dieselben mit ihren versteckten Blumen – das macht doch keinen Sinn! Die Blumen blühen – und niemand kann sich daran erfreuen – so ein Witz!» Andy lacht und drückt mir freundlich die Hand. «Das nennt man grüner Daumen im Untergrund.» Und damit verabschiedet er sich.