Editorial

herzlich willkommen

Liebe NEULAND-Fahrende,

Es ist jeweils nicht einfach, Freunden zum Beispiel in Deutschland zu erklären, wie es möglich ist, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz – wenn sie schon gefragt werden – beispielsweise gegen eine zusätzliche Woche Ferien für alle aussprechen. Da langen sich Bekannte im Ausland an den Kopf, und konnten es kaum glauben, als die Initiative dann tatsächlich abgelehnt wurde. Woran liegt es? Sind wir Schweizerinnen und Schweizer einfach weitsichtiger, netter – oder ganz einfach dümmer? Sind wir beeinflusst von direkter und indirekter Propaganda, dass wir unser Glück schon gar nicht mehr ergreifen können? Fing das Problem der direkten Demokratie in Schieflage schon viel früher an, als wir es nun mit der Annahme einer sogenannten „Masseneinanderungsinitiative“ der SVP kürzlich in aller Deutlichkeit feststellten.

Welche Schweiz hätten wir gerne?

Die Schweiz war eines der letzten Länder, das den Mutterschutz einführte. Erst im 21. Jahrhundert gelang es endlich. Jetzt geht es darum, sich landesweit um einen Minimallohn zu kümmern. In der Schweiz gibt es 330’000 Tieflohnbezügerinnen und -bezüger. Von ihnen sind 70 Prozent Frauen. Gleichzeitig erhielten 2009 10 % der Top-Verdiener einen Drittel (!) sämtlicher Einkommen. Soviel dürften also die Kaffees, die nun zehn oder zwanzig Rappen mehr kosten würden, wie uns allseits vorgerechnet wird, auf die Gesamtlohnsumme nicht ausmachen – für jenen Teil der Bevölkerung, für die eine Annahme einen Unterschied macht, dürfte es aber eine konkrete Verbesserung sein.

Der Slam-Poet Simon Chen hat zur Frage einer Einführung eines Mindestlohn seinen Standpunkt überprüft. Lesen Sie seinen exklusiven Beitrag für NEULAND – begleitet von einer Zeichnung des Zeichners und Karikaturisten Chappatte. Ebenfalls Westschweizer  ist das Journalisten- und Komiker-Duo von „120 secondes“. Die Sendung ist jeweils über Mittag auf dem Radiosender Couleur 3 zu hören – und auf Youtube zu sehen, mit Special Effects…

Unsere Kampf-Piloten

Ist es ein Buch für oder gegen den Gripen, war eine Frage an die Reporterin Margrit Sprecher bei der Buchvernissage von ihrem und Fabian Biasios Buch „Wir Kampf-Piloten“. Weder noch, antwortete sie. Ihr Buch gibt Einblick in die Schweizer Luftwaffe, ohne direkt Position zu beziehen. Was sie sieht und was sie beschreibt, gibt einen allerdings zu denken – und um das geht es in jenem Journalismus ja prinzipiell, dem auch wir von NEULAND uns verbunden fühlen. In der Rubrik Fundstücke finden Sie eine kurze Buchbesprechung von „Unsere Kampf-Piloten“ – und weitere Kulturtipps und Trouvaillen, die laufend aktuell ergänzt werden.

Bei beiden Abstimmungen vom 18. Mai geht es letztlich auch darum,  was  für eine Gesellschaft die Schweiz sein will: ein Land, das dem Militär und seiner Lobby grosses Geld zusprechen will, nicht jedoch Menschen, die nicht von ihrem Lohn leben können? Grundlegende Fragen.Und wenn dann nichts mehr hilft – dann vielleicht Lotto spielen. Allerdings, auch hier gilt es, zuerst mal scharf nachzudenken – und nachzurechnen.

DREAMING BY NUMBERS

Der Mathematiker und vormalig langjähriger Journalist Emil Müller hat uns in seinem Text exklusiv für NEULAND die Wahrscheinlichkeit des Glücks berechnet. Und er hat für uns auch nachgezählt, ob es stimmt, dass das Glück seit der Einführung des neuen Schweizer Lotto-Systems unsere Glückschancen tatsächlich erhöht, wie am Kiosk an der Ecke versprochen wird. Neu sind nicht mehr 45 Zahlen, sondern nur 42 Zahlen im Topf – dazu sind aber zusätzlich Glückszahlen zu wählen. Sogar das Lotto-Spielen wird also komplizierter, so ist es. Aber auch ganz grundsätzlich ist es dem Mensch nicht immer gegeben, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen, erinnert uns Müller eingangs seines Beitrags, den er auch nicht von ungefähr mit Einsteins Lottoempfehlung eröffnet. Die

Die Filmerin Anna Bucchetti machte sich in ihrem zauberhaften, in schwarz-weiss gedrehten Dokumentarfilm „Dreaming by Numbers“ in Neapel auf die Suche nach der treffenden Zahlenkombination.  Ihr Dokumentarfilm war vor einiger Zeit am Filmfestival „Visions du Réel“ zu sehen – und nun hier und jetzt, während der nächsten acht Wochen auf NEULAND. Findet Sie das Glück?

Die in Bern lebende Sängerin Da Cruz zeichnet für das aktuelle Mixtape von NEULAND. Soeben ist ihre neue CD erschienen. Die Musik, die sie für uns zur Einstimmung der kommenden Fussballeuphorie in Brasilien eingespielt hat, ist umwerfend – und dabei auch dezidiert kritisch. Brot und Spiele – ja, wenn das Brot allen gilt.

Das Cover hat das in Bangkok lebende Architekten- und Künstler-Duo „thingsmatter“ gestaltet. Es geht um etwas – und der Journalismus, die Kunst, der Film, die Fotografie öffnen uns neue Perspektiven, neue Denkansätze, neue Räume – wir hoffen, dass die aktuelle Ausgabe auch Sie in allen Sinnen anregt. Tune in!

Herzlich,

Ihr NEULAND: Bianca Dugaro, Corinne Buchser, Lena Eriksson, Louisa Schmitt, Judith Stofer und Anita Hugi

Programmierung: Fint

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