Kochi und Garnelen

Die olfaktorische Perspektive

Kerala bedeutet auf Malayalam nichts anderes als «Land der Kokosnusspalmen» – kein Wunder also, schwimmt fast alles in dieser Küche in der Milch dieser Frucht. In Kochi hat Peter Polter aber auch ein Rezept entdeckt, in dem die Kokosnuss eine weniger wichtige Rolle spielt – ja man kann sie wenn nötig sogar weglassen.

Garnelen (Chemmeen) Ulathiyathu, wie es im Restaurant «Seagull» in Kochi serviert wird. (Dezember 2012)


Kochi Gandhi Beach (Indien), Montag, 24. Dezember 2012

Ob etwas stinkt oder aber angenehm riecht, lässt sich objektiv gar nicht sagen und auch subjektiv oft nur schwer entscheiden. Sicher aber ist, dass es Düfte gibt, die einfach nicht zu der Welt passen, wie wir sie sehen.

Bilder haben den Vorteil, dass sie im Normalfall keinerlei Geruch verströmen – und wir uns also olfaktorisch vorstellen können, was immer wir wollen. In aller Regel stellen wir uns allerdings gar nichts vor, schauen wir uns die Bilder doch eher geruchsneutral an.

Auch wenn etwas abgebildet ist, von dem wir eigentlich wissen, dass es stinkt, haben wir meist kaum geruchliche Assoziationen. Es ist ein interessantes Experiment, sich zum selbigen Bild mal den Geruch von Orangenschale, mal aggressiven Achselschweiss, den Duft von einem Stück Camembert, ein Fichtenparfum oder ein ungepflegtes Pinkelbecken vorzustellen. Die Wirkung des Bildes ist bei jeder Assoziation eine ganz andere – die Legende, die wir dazu schreiben würden, fiele je nach Begleitduft ziemlich verschieden aus.

Wie sehr ein Parfum nicht nur unsere Wahrnehmung der Welt, sondern sogar unsere Haltung beeinflussen kann, wissen wir von der Strasse: Da kann das zauberhafteste Wesen auf uns zu schweben, wenn der Gehsteig zufällig gerade nach Hundekacke riecht, dann schenken wir ihm wohl kaum ein Lächeln.

Die riesige Differenz zwischen dem Erlebnis eines Ortes und dem Eindruck, den die Bilder desselben Ortes vermitteln, ist also gar nicht das Resultat unterschiedlicher Perspektiven allein, sondern auch das Ergebnis verschiedener olfaktorischer Realitäten.

Die Tatsache, dass heute Bilder von jedem Winkel dieser Erde im Internet zur Verfügung stehen, hat Pessimisten auf den Plan gerufen, die einen durch die Medien verursachten Weltschwund wittern. Sie behaupten etwa, wir fänden auf Reisen nur noch das vor, was Reiseführer oder Prospekte längst in unsern Köpfen verankert hätten – die Reise würde somit zu einer tautologischen Tour. Die Tatsache allein, dass von den Bildern kein Geruch aufsteigt, nimmt solchen Thesen allen Wind aus den Segeln. Das Erlebnis der Welt lässt sich durch Bilder nicht ersetzen.

Die Welt erzählt eine ganz andere Geschichte als es die Bilder tun. Überflüssig sind die Bilder deswegen noch lange nicht – im Gegenteil: Sie helfen uns etwa dabei, Dinge zu sehen, die für uns sonst vor lauter Gerüchen unsichtbar blieben. Und also brauchen wir sie auch, um mehr von der Schönheit der Welt erkennen zu können.

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Chemmeen Ulathiyathu

In den Backwaters von Kerala werden auch Garnelen gezüchtet  und noch quicklebendig auf den Märkten verkauft. Auf Malayalam heissen Garnelen chemmeen – «Chemmeen» ist auch der Titel einer 1956 publizierten Novelle von Thakazhi Sivasankara Pillai, die 1965 verfilmt wurde.

Ulathiyathu heisst laut Maria vom «XL Homestay» in Kochi einfach «gekocht», laut den Kellnern aus dem Restaurant des Hotels «Seagull» in Kochi bedeutet es halb gekocht und halb gebraten. Tatsächlich haben alle Ulathiyathu-Rezepte gemein, dass das Gargut zuerst gekocht und dann gebraten, oder aber mit etwas Flüssigkeit gebrutzelt wird.

Das nachfolgende Rezept basiert auf Chemmeen Ulathiyathu, wie wir sie auf der wunderbaren Terrasse des Hotel «Seagull» mehrfach gekostet haben. Wir haben verschiedene Rezepte studiert und daraus die nachfolgenden Anweisungen entwickelt.

Unser Rezept weicht indes in zwei Punkten von der klassischen Zubereitung ab. Erstens kochen wir aus den Schalen einen Sud, den wir statt gewöhnlichem Wasser im Rezept einsetzen – das erhöht den Garnelen-Geschmack des Gerichts. Und zweitens geben wir die Garnelen roh und erst ganz gegen Ende der Kochzeit zum Masala, was sie saftiger erhält.

Von der Konsistenz her bewegt sich Chemmeen Ulathiyathu zwischen einem Saucengericht und einer trockenen Speise. Es schmeckt scharf und würzig, wobei Ingwer und Curryblätter die erste Geige spielen. Ulathiyathu-Rezepte aus Kerala verwenden zum Säuern des Gerichts meist Kokum (Garcinia indica), was aber in Europa nur schwer zu bekommen ist – wir setzen hier stattdessen Tamarinde ein. Natürlich lässt sich das Rezept auch mit vorgekochten und bereits ausgepuhlten Garnelen herstellen – die kleinen Tiere geben so einfach etwas weniger Aroma an das Masala ab und werden mitunter schnell etwas trocken.

Wir servieren Chemmeen Ulathiyathu mit etwas gedünstetem Reis.

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Zutaten (für 4 Personen)

700 g frische, rohe Garnelen (oder 350 bis 400 g ausgepuhlte Garnelenschwänze)

2 EL frischer Ingwersaft

2 TL Chili-Pulver

1 TL Kurkuma-Pulver

2 TL Salz

4 EL Kokosöl (oder Rapsöl)

60 g Ingwer, geputzt in feinen Stäbchen

8 Zehen Knoblauch, geschält, in feinen Stiften

4 Zweige Curryblätter (ca. 50 Blätter)

4 grüne Chili, entkernt, in feinen Streifen

4 Zwiebeln, in feinen Scheiben

4 Tomaten, gehäutet und gehackt

1 dl Saft aus getrockneter und eingeweichter Tamarinde oder 2 gehäufte TL Tamarindenkonzentrat, in etwas lauwarmem Wasser aufgelöst

60 g frisches Kokosnuss-Fleisch, in nicht zu feinen Chips

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Zubereitung

Die Garnelen unter fliessendem Wasser säubern und dann auspuhlen, Karkassen aufbewahren.

Ingwersaft mit Chili- und Kurkuma-Pulver sowie 2 EL Wasser vermengen und mit den Fingern die rohen Garnelenschwänze damit einreiben. Kühl stellen.

Karkassen der Tiere in 7 dl Wasser kalt aufsetzen, Salz beigeben, zum Kochen bringen und etwa 10 Minuten köcheln lassen. Dabei steigt ein rötlicher, leicht öliger Schaum auf. Gelegentlich umrühren.

Brühe durch ein feinmaschiges Sieb geben – dabei mit einem Kochlöffel auf den Schalen herumdrücken, um möglichst viel Saft aus ihnen zu pressen. Man kann auch leicht gegen den Rand des Siebes klopfen, um so das Ablaufen der Flüssigkeit zu beschleunigen. Es sollten wenigstens 4 bis 5 dl Sud zur Verfügung stehen. Karkassen entsorgen.

Öl in einer antihaftbeschichteten Pfanne erwärmen. Ingwer, Knoblauch, Curryblätter, Chilis und Zwiebeln darin bei mittlerer Hitze andünsten bis die Zwiebeln glasig sind und alles etwas Farbe angenommen hat. Mit 4 dl von dem Garnelensud ablöschen, Tomaten und Tamarinde beigeben, aufkochen und dann 15 bis 20 Minuten simmern lassen bis die Sauce dicklich geworden ist.

Wenn man mit bereits ausgepuhlten Garnelen kocht, dann gibt man statt des Garnelensuds 3 bis 4 dl leicht gesalzenes Wasser bei.

Die marinierten Garnelen und die Kokosstücke hineingeben und etwa 5 Minuten unter ständigem Rühren schmoren bis die Tiere gar und gut mit Masala behaftet sind. Ev. mit Salz abschmecken. Wirkt die Sauce plötzlich zu trocken, giesst man etwas zusätzlichen Garnelensud an.

Die drei Hauptbestandteile von Chemmeen Ulathiyathu: Garnelen, Curryblätter und ein scharf-würziges Gravy auf Tomatenbasis. (Januar 2013)

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