Editorial

Blumen statt Beton!

Fahre ich mit dem Zug durch das Mittelland, so kommt es nicht selten vor, dass ich den aus dem Fenster schweifenden Blick schnell wieder auf mein Buch richte: Zu trostlos ist der Anblick der Industriegebäude, Einkaufszentren und Eigenheime und des vielen Asphalts. Die Landschaft, die am Fenster vorbeizieht, ist eine Landschaft ohne Seele und ohne Identität, ein Abbild unserer neoliberalen Gesellschaft.  

Das ist der Lauf der Dinge, mag da manch einer einwerfen, die Schweiz wächst, die Leute müssen ja irgendwo wohnen. Das Problem ist jedoch, dass die besiedelte Fläche stärker wächst als die Bevölkerung, und es in der Schweiz bis heute kein griffiges Raumplanungsgesetz gibt. Denn das eidgenössische  Raumplanungsgesetz, das 1980 in Kraft trat, enthält Lücken.

Davon schlugen insbesondere die Gemeinden Profit, die für neue Steuerzahler Zehntausende von Hektaren fruchtbares Ackerland ein- und umzonten und dabei die Fahne des Föderalismus hochielten, die Bauunternehmen, die das Land mit Beton und Asphalt belieferten, die Bodenspekulanten und die Bauern, die Geld statt Kartoffeln aus der Erde herausholten und die Banken, die ein Volk von «Traumhaus»-Besitzern mit Hypothekarkrediten versorgten. Das Geschäft mit dem Boden boomt.

Das Resultat: Die Schweiz, die keine Bodenschätze hat ausser ihrer Landschaft, ist heute der Inbegriff der ungehemmten Zersiedelung. Von 1950 bis ins Jahr 2000 hat sich die besiedelte Fläche verdoppelt. Allein in den letzten 25 Jahren wurden rund 600 Quadratkilometer verbaut: Man stelle sich vor, der Boden eines Gebiets so gross wie der Kanton Glarus wurde in einem Vierteljahrhundert für immer unter Beton und Asphalt begraben!

Jede neue Siedlung will auch an den Verkehr angeschlossen sein: Nirgends sonst in Europa gibt es so viele Strassen, Strässchen, Autobahnen und Autobahnzubringer (Strassendichte Schweiz: 2,7 km/km2; Mittelland: 3 bis 4 km/km2). Ein Drittel unseres Wohngebiets ist mittlerweile von Asphalt bedeckt. Wie sagte doch kürzlich ein Bauer in Brienz: «Der Boden ist unsere Lebensgrundlage. Eines Tages wird man merken, dass man Geld nicht essen kann.»

Am 3. März 2013 gelangt in der Schweiz die Revision des Raumplanungsgesetzes  zur Abstimmung. Damit bietet sich den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, diese seit über 60 Jahren andauernde Fehlentwicklung einzudämmen.

Neuland 13 greift im Vorfeld der Abstimmung das Thema auf und publiziert im Schwerpunkt Beiträge von beziehungsweise über zwei Personen (siehe auch Kurzinterview von Anita Hugi), die sich bereits seit Jahrzehnten mit der fehlenden Raumplanung in der Schweiz beschäftigen und immer wieder gegen Windmühlen anrannten: der Publizist und Architekt Benedikt Loderer und Klaus C. Ewald, emeritierter Professor für Landschaftspflege bzw. für Natur- und Landschaftsschutz an der Universität Freiburg im Breisgau und an der ETH Zürich.

Die Künstlerin und (Neuland-)Fotografin Bianca Dugaro hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit den Veränderungen der Landschaft auseinandergesetzt und sich zum Schnittpunkt zwischen Traum und Realität, Echtem und Unechtem in Traumhaussiedlungen begeben.

Tatsache ist: Wir brauchen immer mehr Raum, um unsere Wohnträume zu erfüllen, wir wollen im Grünen wohnen und zerstören gleichzeitig die Natur, die wir suchen. Und wir schaffen unüberwindbare Grenzen für Tiere. Das Cover mit dem Titel «Ein Vogel, der sich selbst gezeichnet hat» wurde von der Künstlerin und Neuland-Mitherausgeberin Lena Eriksson gestaltet.

Musikalisch führt die neue Neuland-Nummer nach Mali. Die Bielerin Carine Zuber, die unter anderem Programmleiterin des Cully Jazz Festivals ist, gibt den malischen Musikern eine Stimme, in deren Land der Krieg und die Unterdrückung durch die Islamisten vielerorts die Musik zum Verstummen brachte.

Peter Polter reist mit uns dieses Mal nach Indien und Hans Stofer analysiert für Neuland das Gewicht von Wolkenkoffern.

Ein wichtiger Hinweis in eigener Sache: Neuland erscheint 2013 als «Magazin plus». Das heisst, die aktuelle Ausgabe wird nach Erscheinen alle zwei Wochen und immer freitags mit aktuellen Beiträgen, so dem Dokumentarfilm, weiteren Kolumnen und Kulturtipps, ergänzt und erweitert. Ein Grund mehr, immer wieder einen Blick auf Neuland zu werfen! In Neuland investiert sich erst noch nachhaltig!

P.S.: Den Auftakt der Sequenzen macht am Freitag in zwei Wochen der bekannte Dokumentarfilm Il fare politica von Hugues Le Paige aktuell im Vorfeld der Wahlen in Italien. Schauen Sie spätestens dann wieder rein!

Für das Neuland-Herausgeberinnen-Team,

Corinne Buchser, Freitag, 8. Februar 2013

Neuland 14 erscheint Mitte April.

 

Der Song zur aktuellen Neuland-Ausgabe:


The Good Man – Build a house on the countryside von Husky Rescue

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